Den Frieden gewonnen? Städte nach 1648 im Vergleich

Den Frieden gewonnen? Städte nach 1648 im Vergleich

Organisatoren
Angelika Lampen / Philip Hoffmann-Rehnitz, Institut für vergleichende Städtegeschichte, Münster; Ulrike Ludwig / Nikolas Funke, Historisches Seminar, Universität Münster; Peter Worm, Stadtarchiv Münster
Ort
Münster
Land
Deutschland
Fand statt
In Präsenz
Vom - Bis
28.09.2023 - 29.09.2023
Von
Simon Müller, Historisches Seminar, Universität Münster

Verglichen mit den Friedensverhandlungen selbst sind bislang die Prozesse und Entwicklungen, welche die Friedensverträge von Münster und Osnabrück in Gang setzten, weit weniger in den Blick der historischen Friedensforschung geraten. An dieser Forschungslücke setzte die in der Rüstkammer des Münsteraner Rathauses durchgeführte Tagung an und nahm die Zeit nach dem Krieg verstärkt in den Blick. Im Mittelpunkt standen Fragen danach, wie die Friedensvereinbarungen wahrgenommen und umgesetzt wurden, welche Folgen der Krieg brachte und wie man mit diesen nach 1648 umging.

Nachdem Ulrike Ludwig (Münster) in die Tagung eingeleitet hatte, stellte PHILIP HOFFMANN-REHNITZ (Münster/Freiburg) zunächst die Zwischenergebnisse einer studentischen Forschungsgruppe vor, die er gemeinsam mit Ulrike Ludwig leitet. In eigenen Fallstudien bearbeiten vier Studierende Aspekte der Stadt Münster nach 1648. Diese Teilprojekte beschäftigten sich mit der Auswertung der Ratsprotokolle, der städtischen Luxusgesetzgebung, der Finanzentwicklung, die anhand der Gruetamtsrechnungen in den Blick genommen wird, sowie dem ratsherrlichen Umgang mit straffällig gewordenen Soldaten nach den Verhandlungen zum Westfälischen Frieden. Im zweiten Teil des Vortrags wandte sich Hoffmann-Rehnitz der Frage zu, welche Rolle die Stadt Münster für das Aufbringen der fälligen hessischen und schwedischen Satisfaktionsgelder im gleichnamigen Stift spielte. Er stellte auf Basis der untersuchten Quellen zu den Landtagen nach 1650 fest, dass Münster eine Schlüsselrolle als zentrale Kreditnehmerin für die Landstände zukam, von der sich die Domstadt letztlich auch mehr politische Partizipationsrechte erhoffte. Inwiefern man solche Emanzipationsversuche einer Stadt auch in weiteren Fällen nach 1648 beobachten kann, wurde in der Abschlussdiskussion aufgegriffen und debattiert.

CHRISTOPH VOLKMAR (Magdeburg) beschäftigte sich mit der Frage, wie die Eliten der Stadt Magdeburg nach der fast vollkommenen Zerstörung am 10. Mai 1631 versuchten, die Reichsfreiheit der Stadt zu erlangen. Eine zentrale Rolle nahm hierbei Otto (von) Guericke ein, der sowohl bei den Westfälischen Friedensverhandlungen als auch auf späteren Reichstagen die Magdeburger Interessen vertrat. Die Autonomieansprüche der Stadt fußten auf einer 1631 zerstörten Urkunde Otto des Großen, in der der Stadt angeblich die Privilegien als Freie Reichsstadt zugestanden wurden. Die Zerstörung des Stadtarchivs konnte während der Friedensverhandlungen zu einem gewinnbringenden Argument gemacht werden, so Volkmars These, sodass diese Rechte und Privilegien der Stadt Magdeburg durch den Osnabrücker Friedensvertrag tatsächlich zugesprochen wurden.

DIRK NIEFANGER (Erlangen) diskutierte anhand von drei Beispielen aus dem urbanen Umfeld der Städte Hamburg, Nürnberg und Glogau die Verarbeitung des Dreißigjährigen Krieges in der zeitgenössischen Literatur. Andreas Gryphius' Barockkomödie „Horribilicribrifax Teutsch“ (1663) zeichnet sich durch das ironisch dargestellte Auftreten prahlerischer Soldaten zum Zeitpunkt des westfälischen Friedensschlusses aus. Johann Helwigs Werk „Die Nymphe Noris“ (1650), das aus dem Umfeld des Pegnesischen Blumenordens stammt, thematisiert den Krieg vor allem als gemeinsamen Erinnerungsort. Die während des Krieges in Mitleidenschaft gezogene Umgebung der Stadt Nürnberg diente – nun im Frieden wieder begehbar – als Inspiration für den Dichter. Als drittes Fallbeispiel betrachtete Niefanger Johann Balthasar Schupps posthum veröffentliche Druckschrift „Der geliebte und gelobte Krieg“. Darin nutzte der Theologe Schupp eine mehrheitlich anthropologische Argumentationslinie, um die anhaltende Existenz von Krieg zu erklären. Anhand dieser Beispiele konnte Niefanger zeigen, dass, obwohl alle drei Werke im urbanen Umfeld von protestantischen Autoren verfasst wurden, doch große Unterschiede in der literarischen Rezeption des Dreißigjährigen Krieges auszumachen sind.

SIMON KARSTENS (Trier) widmete sich der Stadt Trier während des Polnischen Erbfolgekrieges und bot somit einen Vergleichsfall aus dem 18. Jahrhundert. Der Vortrag stellte die komplexen Beziehungsstrukturen zwischen den französischen Besatzern und den verschiedenen Ämtern der Stadt und des Erzstifts Trier vor. Diese charakterisierte Karstens als „Tanz auf Messers Schneide“. Die Beziehungen waren jedoch auch von ausgeprägten Routinen im Umgang miteinander bestimmt. Eine Schlüsselrolle spielten auch hier Finanzfragen: Die besetzten Trierer wollten gerade so viele Zahlungen tätigen, dass sie einer Exekution entgehen konnten, während die französischen Besatzer möglichst viele Geldzahlungen ohne Ausübung einer Exekution erhalten wollten. Insgesamt bilanzierte Karstens das Trierer Fallbeispiel als von „Unfrieden“ geprägt, da die Stadt zwar nur mittelbar in das Kriegsgeschehen verwickelt war, durch die Besatzer allerdings auch nicht in Frieden leben konnte.

In den Friedensschlüssen von Münster und Osnabrück waren hohe Geldzahlungen an Schweden und Hessen vereinbart worden. Das Aufbringen dieser Satisfaktionsgelder lief maßgeblich über die Reichskreise ab, über deren Wirken und Bedeutung FABIAN SCHULZE (Augsburg) vortrug. Auf dem Bayrischen Kreistag in Wasserburg wurde beispielsweise zwischen November 1648 und April 1649 verhandelt, wie und in welchem Umfang die bayrische Armee abgedankt werden würde und ob das Stift Salzburg sich an der Aufbringung der Satisfaktionsgelder beteiligen müsse. Besonders diese intensiven Verhandlungen trugen im Falle des Bayrischen Kreises maßgeblich zur schnellen Abdankung der Soldaten und auch zu einer Herbeiführung eines friedlicheren Zustands bei, so die These Schulzes.

Am Beispiel der kursächsischen Landstadt Zwickau zeigte CHRISTIAN LANDROCK (Chemnitz), welche Handlungsmöglichkeiten abgedankte Soldaten nach dem Dreißigjährigen Krieg in der Stadtgesellschaft hatten. Dem Westfälischen Frieden vorausgegangen waren für Kursachsen allerdings der Waffenstillstand von Kötzschenbroda (1645) und der Friede von Eilenburg (1646), mit denen Sachsen als aktive Kriegspartei ausschied. Davon ausgehend plädierte Landrock dafür, von einer schon 1645 einsetzenden Übergangs- oder Transitionsphase für seinen Untersuchungskontext zu sprechen. Gleichwohl könne man erst für die Zeit nach den Verhandlungen in Münster/Osnabrück sowie in Nürnberg die dauerhafte Niederlassung von ehemaligen Soldaten in Zwickau ausmachen, was gewissermaßen als Zeichen dafür zu verstehen sei, dass der Krieg nun auch von den Zeitgenossen als beendet betrachtet wurde.

Der Frage, wie sich die Memorialkultur in urbanen Räumen nach Kriegserfahrungen ausgestaltete, ging JENS NIEBAUM (Münster) am Beispiel der Stadt Wien nach. Als besonders aufschlussreich erwies sich sein vergleichender Zugriff auf die beiden Phasen nach der Einnahme der Wolfsschanze durch die Schweden 1645 und die Zeit nach der zweiten Wiener Türkenbelagerung 1683. Es zeigte sich, dass sowohl innerhalb als auch außerhalb der Stadt an diese Ereignisse erinnert wurde. So wurden nach dem Dreißigjährigen Krieg die Mariensäule am Hof innerhalb der Stadtmauern sowie die Brigittakapelle weiter außerhalb der Stadt errichtet. Nach der zweiten Türkenbelagerung wurde auf dem Leopoldsberg die fortan namensgebende Leopoldskirche deutlich ausgebaut, sodass dieser Erinnerungsort durch seine exponierte Lage am Berggipfel auch eine starke Fernwirkung besaß. Innerhalb der Stadtmauern wurde nach der Türkenbelagerung 1683 die ursprüngliche Bekrönung am Hochturm des Stephansdoms – ein Stern mit Mondsichel – zu einem unliebsamen Symbol und durch ein Caravaca-Kreuz ersetzt. Insgesamt konnte Niebaum durch die vier Objekte einen visuellen Gedächtnisraum sowohl innerhalb als auch außerhalb des engeren Wiener Stadtraums ausmachen.

RENGER DE BRUIN (Utrecht) wandte sich der Stadt Utrecht zu. Deren Gesandter Godart van Reede van Nederhorst weigerte sich anfänglich entschieden, den Münsteraner Friedensvertrag zu unterzeichnen, da Utrecht stark von Waffenproduktion und -handel profitierte. Die unmittelbare Zeit nach dem Westfälischen Frieden war für Utrecht zudem von den wirtschaftlichen Folgen der vier Englisch-Niederländischen Seekriege, den Auswirkungen der europäischen Agrarkrise und dem Rampjaar geprägt. Insgesamt kam de Bruin zu einem abwägenden Urteil. Einerseits war die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts – gemäß der frühneuzeitlichen „Bellizität“ – für Utrecht von Krieg und Krisen geprägt, andererseits erholte sich die Stadt von diesen immer wieder und wurde schließlich 1712 selbst Austragungsort eines Friedenskongresses.

NIKOLAS FUNKE (Münster) referierte über die Veränderung des Weseler Stadtraums. Durch die in der Region und in deren Nähe ausgetragenen Kriege war Wesel im 16. und 17. Jahrhundert einer kontinuierlichen militärischen Bedrohung oder auch Besatzung ausgesetzt. Im Laufe der Frühen Neuzeit fungierte die Stadt schließlich immer mehr als vom Festungsbau geprägte Garnison; die früher dominante Bedeutung als Kultur- und Handelsraum trat demgegenüber immer mehr zurück. Als Verlierer der Stadt Wesel können, ähnlich wie im Magdeburger Fall, vor allem die Vorstädte ausgemacht werden, die im Vorfeld von Belagerungen eingeebnet und später nicht mehr (vollumfänglich) wiederaufgebaut wurden. Im Angesicht der zahlreichen Kriege und Konflikte konnte Funke eine „Nachkriegszeit“, die nach 1648/1650 eintritt, nicht feststellen.

Eine gewisse Verzögerung konnte auch EVA-BETTINA KREMS (Münster) für die Wittelsbacher Residenzstadt München ausmachen. Erst ab den späten 1650er-Jahren setzte hier eine Forcierung der Bautätigkeiten durch Kurfürst Ferdinand Maria ein. Dazu gehörten repräsentative Bauten wie das Opern- und Komödienhaus am Salvatorplatz oder das Turnierhaus. Bezug zur Einnahme und Besatzung der Residenzstadt durch die Schweden nahm zum einen die noch während des Krieges auf kurfürstlichen Befehl im November 1638 errichtete Mariensäule. Zum anderen wurde durch eine 1635 installierte Votivtafel von Johann Kager in der Kirche Sankt Maria Ramersdorf von städtisch-bürgerlicher Seite aus der 42 sogenannten „Schwedengeiseln“ gedacht. Letztlich gelangte Krems zu der These, dass es in der Residenzstadt München seit den 1650er-Jahren zu einer verstärkten Überformung des Stadtraums von kurfürstlicher Seite kam.

Erneut nach Wien führte der Vortrag von MARTIN SCHEUTZ (Wien), der die städtebaulichen Veränderungen nach dem sogenannten Türkenrummel 1683 untersuchte. Anhand der Hofquartierbücher konnte er nachweisen, dass die Geschosszahl bürgerlicher sowie adeliger Häuser nach diesem Zeitpunkt deutlich zunahm und die Häuser nun in der Regel vier oder mehr Etagen besaßen. Hintergrund war das Bevölkerungswachstum, das auf diese Weise innerhalb der Stadtmauern aufgefangen wurde. Zugleich passten sich die Fassaden der bürgerlichen Häuser dem Erscheinungsbild adeliger Stadtsitze an. Ab den 1690er-Jahren erwarben Adelige vermehrt Grundstücke in den Vorstädten Wiens, um dort ihre Sommerpalais zu errichten. Auf Basis dieser Ergebnisse kam Scheutz zu dem Schluss, dass nach der Belagerung 1683 eine deutliche Umsortierung des Wiener Stadtraums beobachtbar sei.

Die abschließende Diskussion begann mit einem Podiumsgespräch zwischen den Sektionsmoderator:innen HORST CARL (Gießen), BIRGIT EMICH (Frankfurt am Main) und ULRIKE LUDWIG (Münster). Zentraler Ausgangspunkt des Gesprächs war die Frage, wie sinnvoll es ist, angesichts der allgemeinen „Bellizität der Frühen Neuzeit“ (Burkhardt) überhaupt von einer Nachkriegszeit in der Vormoderne zu sprechen. Zugleich wurde diskutiert, welche definitorischen Engführungen nötig wären, um den Begriff „Nachkriegszeit“ als Analyseinstrument benutzen zu können. Auf dem Podium wurde einhellig herausgestellt, dass die Beiträge der Tagung deutlich gemacht hätten, dass man zwar von einer Nachkriegszeit sprechen kann, damit aber keine genuine Friedensphase, sondern vielmehr eine Transitions- oder Latenzphase gemeint sei. Horst Carl schlug weiter vor, verstärkt zu unterscheiden und zu untersuchen, wo und wann zeitgenössisch eine Zäsur zwischen Kriegs- und Friedenszustand statuiert werde; beispielsweise indem kriegsbedingte Ge- und Verbote von Obrigkeiten aufgehoben, Kriegssymbole zerstört oder Friedensfeiern abgehalten wurden. Emich plädierte zudem für eine nun anstehende systematisch-vergleichende Untersuchung der Kriegsfolgenbewältigung verschiedener Städte oder Städteregionen im Alten Reich. Dafür konnten auf der Tagung bereits verschiedenen Vergleichsfelder (Finanzen, bauliche wie soziale Veränderungen, Memorialkultur) herausgearbeitet werden. Künftig gelte es aber auch verstärkt, die Rhetorik einer Nachkriegszeit zu untersuchen, besonders im Kontrast zur Zeit des aktiven Krieges.

In der schließlich geöffneten Diskussion wurde zudem betont, dass es bislang noch an Studien fehle, die für vom Dreißigjährigen Krieg unterschiedlich stark betroffene Städte die für den Friedenszustand kritische und auch ambige Zeit zwischen den Friedensverträgen von 1648 und dem Nürnberger Exekutionstag von 1650 intensiver beleuchten. Aber auch die danach einsetzenden längerfristigen Entwicklungen sollten nicht weiter vernachlässigt werden. Festgehalten werden kann zum Schluss also, dass die Tagung nur den Beginn einer verstärkten Hinwendung der Stadtgeschichtsforschung zu jenen Prozessen sein kann, die nach Kriegserlebnissen und Friedensschlüssen eintraten.

Konferenzübersicht:

Ulrike Ludwig (Münster): Begrüßung und Einleitung

Sektion 1: Konflikte

Leitung/Moderation: Horst Carl (Gießen)

Philip Hoffmann-Rehnitz (Münster): „da man des lieben friedens noch keines weges versichert“: Konfliktkonstellationen und Problemwahrnehmungen in Münster nach dem Westfälischen Friedenskongress

Christoph Volkmar (Magdeburg): Wie Magdeburg einmal den Frieden gewann und zweimal verlor

Dirk Niefanger (Erlangen): „Der Fried hat uns genarrt.“ Nachkrieg im urbanen Umfeld. Literarische Perspektiven im 17. Jahrhundert

Simon Karstens (Trier): Routinen des Unfriedens – die Stadt Trier in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts

Sektion 2: Integration/Desintegration

Leitung/Moderation: Ulrike Ludwig (Münster)

Fabian Schulze (Augsburg): Kreistage als Friedenskongresse? Warum für die Herbeiführung des Friedens auch Städte fernab von Westfalen und Nürnberg eine Rolle spielten

Christian Landrock (Magdeburg): „Die Waisen des Mars.“ Die (Re-)Integrationsversuche ehemaliger Soldaten des Dreißigjährigen Krieges am Beispiel der kursächsischen Stadt Zwickau

Jens Niebaum (Münster): Stadträumliche Erneuerung im Zeichen der Dynastie: Wien nach 1645 und 1683

Renger de Bruin (Utrecht): Eine Stadt in Krieg und Frieden, Utrecht 1648–1748

Sektion 3: Raum

Leitung/Moderation: Birgit Emich (Frankfurt am Main)

Nikolas Funke (Münster): Der Weseler Stadtraum während des „Hundertjährigen Krieges“ am Niederrhein (c.1570–1672)

Judith Pollmann (Leiden): Post-war chronicling and urban space in the early modern Low Countries (entfallen)

Eva-Bettina Krems (Münster): München nach dem Dreißigjährigen Krieg: Neudefinitionen von höfischen und städtisch-bürgerlichen Räumen

Martin Scheutz (Wien): Die erste Gründerzeit Wiens nach 1683 – die Neubesetzung der Vorstadt nach der zweiten Belagerung Wiens durch die Osmanen

Abschlusspodium

Horst Carl und Birgit Emich (Gabriele Haug-Moritz verhindert)

Moderation: Ulrike Ludwig